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Gitarrespielen lernen ohne Noten?

Ohne Noten Gitarrespielen lernen

 

Gitarre spielen lernen - warum ohne Noten?

 

Ein Kommentar von Reinhold Pomaska

 

Als ich 1996 mit meiner GitarrenLiederSchule in Hagen begann, stand für mich eines von Anfang an fest: Meine zukünftigen Gitarrenschüler werden zum Gitarre lernen keine Noten benötigen!

Wer meinen eigenen Werdegang auf der Gitarre kennen würde, der würde sich mit Sicherheit wundern! Denn ich hatte nach dem autodidaktischen Erlernen der ersten Griffe aus der „Mundorgel" meinen ersten Gitarrenunterricht mit Noten! Inhaltlich gab es klassische Stücke von Küffner, Sor, Carulli und Kollegen. Von insgesamt neun Gitarrenanfängern machten nur zwei weiter, die anderen hörten so schnell auf, wie sie gekommen waren. Einer von den beiden war glücklicherweise ich. 

Ich war damals 16 Jahre alt und kannte das Notensystem von der Blockflöte, meinem ersten Instrument, das ich mit 8 Jahren erlernen durfte. Die Vorbildung durch das Erlernen der Blockflöte war für das "Gitarrespielen nach Noten" äußerst hilfreich, da ich ja die Noten, Notenlängen und auch die Vorzeichen schon kannte. Für mich war es irgendwie klar, dass Noten und klassische Gitarre einfach zusammengehören.

Nach einem Jahr besuchte ich dann einen Gitarren-Workshop im Jugendzentrum Wetter, dort bot ein guter Gitarrist aus der Dortmunder Folkszene Gitarrenunterricht mit Folksongs an. Hier lernte ich Songs von Donovan und Co. kennen, bei denen die Gitarrenbegleitung in Tabulatur geschrieben wurde. So machte mir das Gitarrespielen sofort richtig Spaß!

Denn obwohl diese Form der Notation für mich in diesem Moment neu war, hatte ich sie fast sofort drauf, denn die Zahlen der Tabulatur, welche direkt auf die Saiten geschrieben wurden, waren ja nun mal keine Hexerei. Dazu kam auch, dass ich die Notenlängendarstellung mit Hilfe von Balken von der normalen Notenschreibweise schon kannte.

Was mich bis heute allerdings wundert, ist die Tatsache, dass ich nie die verwendete normale Notation bei den klassischen Gitarrenstücken in Frage stellte! Es waren für mich einfach zwei verschiedene Musikwelten: Auf der einen Seite die klassische Musik mit Noten, auf der anderen Seite die Folkmusik mit Tabulatur. Irgendwie war mir diese unterschiedliche Darstellung von Musiknotation in dieser Zeit stimmig.

 

Doppelte Notation für Gitarrenbücher?

 

Erst im Jahre 1994 lernte ich dann „Das klassische Gitarrenbuch“  kennen. Hier sah ich zum ersten Mal in meiner Gitarrenlaufbahn die doppelte Notation bei klassischen Gitarrenstücken: Die obere Notation in klassischer Notenschreibweise, direkt parallel darunter die Tabulatur. Der Gitarrenspieler konnte sich in diesem Buch aussuchen, welche Schreibweise er beim Erlernen der alten Gitarrenstücke benutzen möchte!

Hierbei sei noch zu erwähnen, dass dieses Buch die Notation und die komplette, moderne Tabulaturschreibweise benutzte. Damit meine ich die Tabulatur mit Balken, also auch die Darstellung der regelrechten Notenlänge eines Tones. Das mag jetzt selbstverständlich klingen, ist es aber - leider - heute nicht mehr.

Auch wenn es viele aktuelle Gitarrenbücher gibt, die diese doppelte Notation haben, wird häufig die Tabulaturzeile nur als primitive, unvollständige Tabulatur gezeigt, nämlich eine, welche lediglich die Tabulaturlinien und die Zahlen - aber ohne Balken/Notenlänge - beinhaltet. Auf diese einfache Weise wurde schon die italienische Tabulatur im 16. Jahrhundert dargestellt.

 

Die Buchautoren solcher Gitarrenbücher mit doppelter Notationszeile gehen wohl davon aus, dass der übende Gitarrist den Blick - wenn er die Tabulatur benutzen will - auch nach oben in die Notenzeile bewegt, um von dort die Notenlänge zu identifizieren. Dies ist eine sehr lästige, da unnötig beschwerliche Übungssituation für den Tabulaturspieler. Besser hat es hier der Notenleser. 

Dieser liest von den Noten ab und schaut dann ab und zu auf die Tabulatur. Aber warum tut er das noch? Schließlich ist er doch derjenige, der ein vollständiges Notensystem benutzt! Die kurze Antwort ist:

 

Die Gitarrentabulatur ist für Gitarristen informativer!

 

Wenn man bedenkt, dass die Tabulatur eine spezielle Notationsweise für Saiteninstrumente mit Bünden ist und ursprünglich für die Laute entwickelt wurde, ist das schon eher verständlich. 

Das Besondere an der Tabulatur ist, dass der Gitarrist auf einen Blick erkennt, auf welcher Saite ein Ton gespielt wird - die allgemeine Notation hat lediglich den Ton und Tonlänge als Information. Die optimale Griffposition - also Bund und Saite - muss sich der Gitarrist hierbei aus dem Zusammenhang selbst erarbeiten. 

Genau in diesem Moment spart sich der Notist diese Arbeit und schaut kurz auf die Tabulatur, um diese Information dort zu bekommen.

 

Die Nachteile einer doppelten Notation - also Tabulatur plus Notenschreibweise -  sind für mich folgende:

1. Man impliziert durch das Erscheinungsbild der doppelten Schreibweise automatisch, dass die Noten eine wichtige Rolle spielen - obwohl sie in Wirklichkeit komplett überflüssig wäre, wenn die Tabulatur mit Notenlängendarstellung wäre.

2. Das Gesamtbild des Druckbildes ist unübersichtlicher.

3. Dadurch erscheint das jeweilige Musikstück schwieriger.

 

In so mancher Diskussion hierüber kommt das Argument, dass ja immerhin der Notist die Noten benutzen kann und damit beide Spielertypen - Notenspieler und Tabulaturspieler - so auf ihre Kosten kommen. Wenn man aber berücksichtigt, dass wohl jeder Notenspieler auch Zahlen lesen kann, wird er innerhalb von Minuten so vertraut mit der Tabulatur werden, dass er überhaupt kein Leseproblem damit haben wird. Und wenn es trotzdem eine Abneigung gegen die Tabulatur gibt, ist eine geistige Sperre des Notisten - egal aus welchen Gründen - wohl maßgeblich daran beteiligt.

Aus diesem Grund halte ich alleine die Tabulatur für ein Gitarrenbuch für sinnvoll und zielgerichtet, weil sie quasi von jedem fast sofort umgesetzt werden kann und den größten Informationsgehalt auf übersichtliche Art und Weise darstellt. Voraussetzung ist hierbei selbstverständlich, dass Gitarrenanfänger auch mit entsprechend leichten Anfängertabulaturen beginnen.

 

Zurück zu meinen Anfängen!

 

Als ich 1996 meine Gitarrenschule eröffnete, war es für mich keine einzige Überlegung wert, meinen Schüler das Gitarre lernen mit Noten zu vergraulen. Und das nicht nur, weil ich zu Beginn sowieso nur mit Akkorden spiele; auch bei späteren Melodie-Notationen und Fingerpickingstücken sollte es ausschließlich nur eine Tabulatur geben! Wenn ich von Tabulaturen spreche, meine ich allerdings immer und ausschließlich die vollständige moderne Gitarrentabulatur mit Angabe der Tonlängen mit Hilfe von Balken, Fähnchen, Punktierung usw.

Habe ich eigentlich schon gesagt, dass ich persönlich sehr froh bin, dass ich schon als Kind Noten gelernt habe? Das hat allerdings den Grund, dass ich irgendwann Gitarrenlehrer wurde und meine Notenkenntnisse eine große Hilfe beim Erstellen meiner Songblätter und später auch bei der Herstellung meiner Gitarrenbücher waren und immer noch sind. Außerdem versuche ich mich auch immer wieder auf anderen Instrumenten; auch dabei sind Notenkenntnisse oft sehr hilfreich.

Noten haben den großen Vorteil, dass sie Melodien und Harmonien für alle Instrumente darstellen können, wobei viele Instrumente auf ganz bestimmte Tonarten optimiert sind und das Notenlesen etwas erschweren. Doch letztlich ist dies Gewohnheitssache und wer sich darauf eingelassen hat wird auch immer froh sein, diese Kunst erlernt zu haben.

 

Aber... für die Gitarre brauchst du als Anfänger und als Fortgeschrittener und eigentlich auch als Profi nicht unbedingt Notenkenntnisse. Einige Namen gefällig? Paco de Lucia, Tommy Emmanuel, George Benson, Stevie Ray Vaughan, Eric Clapton, Paul McCartney, Elvis Presley und mit Sicherheit noch viele andere können angeblich keine Noten lesen! 

In meinen Augen ist das einfach zu erklären: Viele begnadete Gitarristen haben sich das Gitarrespielen selber beigebracht und konnten sich so „nur" auf ihr gutes Gehör verlassen. Dadurch entwickelt sich meiner Meinung nach auch eine andere, intuitivere Musikalität, als wenn man schon in jungen Jahren Noten lernt, sich mit Harmonielehre befasst und sich damit in vorgegebene musikalische Muster bewegt.

 

Noten - Erlernen der grauen Theorie...

 

Damit möchte ich keineswegs behaupten, dass das Notenlernen keinerlei Vorteile hat!

Wer als Studiomusiker arbeitet oder sich als Aushilfsmusiker in verschiedenen Bands betätigt, wird seine - möglichst guten - Notenkenntnisse wohl oft gebrauchen und deshalb vielleicht auch den einen oder anderen Job bekommen. 

Aber auch diese Tatsache hat nichts damit zu tun, dass man Gitarrenanfänger direkt mit Noten konfrontieren sollte. Leider werden auch an vielen Gitarrenschulen direkt von Anfang an Noten vermittelt und das selbst bei Kindern. Mit kindgerechtem Gitarrenunterricht hat das in meinen Augen überhaupt nichts zu tun, denn damit schafft man automatisch eine Auslese von wenigen Gitarrenspielern, die, egal aus welchen Gründen, diese Lernprozedur im Kindesalter überstanden haben und auch längerfristig weiterspielen. Ich möchte nicht wissen, wieviele gute Musiker wir insgesamt durch einen „Notenlernzwang" nie zu Gesicht bekommen haben.

Noch schlimmer aber ist die Tatsache, dass diese verhinderten Musiker das Musikmachen als lebensbereichernde Aktivität und geistig/seelischen Ausgleich niemals erfahren durften. Und das alles nur wegen ein paar Noten, welche zu lernen noch nicht einmal Sinn gemacht hätte.

 

Noten schon im Kindesalter erlernen?

 

Wie könnte nun z.B. ein guter Gitarrenunterricht mit Kindern aussehen?

Schon in der ersten Gitarrenstunde sollten die Kinder ein Lied mit einem Akkord spielen und singen, sodass sich ein direktes Erfolgserlebnis einstellt. Nach und nach kommen andere Akkorde dazu, die Lieder werden kaum merklich immer komplexer, angereichert mit einfachen Melodien, die man per Tabulatur darstellt, sodass das Umsetzen der Melodien nicht schwerfällt. Auf die gleiche Art werden Pickingmuster gelernt oder auch instrumentale Stücke. Nach meinen Erfahrungen stellt sich schon nach einiger Zeit auch eine gesunde Neugier auf Zusammenhänge zwischen den Akkorden ein. Dann ist die Zeit gekommen, in der man einfache und praktische Harmonielehre in kleinen aber regelmäßigen Einheiten in den Gitarrenunterricht einfügt - auch ohne Notenkenntnisse!

Wenn darüberhinaus ein Bedürfnis besteht, Noten zu lernen, kann man das jederzeit mit in den Unterricht beziehen. Für jemanden, der Noten wirklich lernen möchte, ist das keine große Hürde, denn Noten zu lernen ist eigentlich eine recht einfache Sache - man darf lediglich keine Abneigung mitbringen.

Um meine Kritik am "zu frühen“ Notenlernen zu verstehen, hilft vielleicht ein Beispiel aus dem Leben. Würdest du deinem Kind als erstes das Alphabet und das Lesen beibringen oder vielleicht doch erst einfache Worte wie Mama, Papa, usw? Jeder Mensch hat erst die Sprache gelernt und danach das Lesen und auch Schreiben.

Beim Erlernen eines Instrumentes wird diese natürliche Regel oft umgedreht: Es werden direkt Noten gelehrt und erst danach darf damit Musik gemacht werden.

 

Noten sind letztlich nicht mehr als ein Hilfsmittel, um Musik darzustellen und aufzubewahren, die Sprache der Musik ist - die MUSIK selbst.

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